Die Steyler Indienmission im 2. Weltkrieg
1939 wurde Hermann Westermann zum Propräfekten der Mission Indore ernannt. Dieses Jahr bedeutete für die katholische Mission in Indien den Beginn einer schweren Zeit. Auf Befehl Adolf Hitlers überfiel am 1. September die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung Polen. Daraufhin erklärten Frankreich und Großbritannien Deutschland am 3. September 1939 den Krieg. Australien, Indien und Neuseeland schlossen sich der britischen Kriegserklärung am 6. September, die kanadische und südafrikanische Regierung am 19. September an.
Der 2. Weltkrieg betraf auch das Wirken der Steyler Missionare in Indien. Der Steyler Anton Freitag verfasste einen ausführlichen Bericht über die Missionsgebiete seines Ordens während der Kriegszeiten, „Glaubenssaat in Blut und Tränen". Die finanziellen Schwierigkeiten waren eines der Hauptprobleme der Mission. Die Indore-Mission war seinerzeit von Steyl aus mit Blick auf die tatkräftige Unterstützung des katholischen Deutschlands unternommen worden. Aufgrund einer kriegsbedingten Devisensperre war es jedoch unmöglich, „irgendwelche größeren Pläne ins Werk zu setzen". Dies schrieb der stellvertretende Apostolische Präfekt, Pater Simons, 1946 in einem Brief an den Apostolischen Delegaten Monsignore Kierkels. Nur mit Hilfe von Missionsfreunden aus Nordamerika, Argentinien, England und Irland konnte sich die Steyler Mission in Indien über Wasser halten.
Aufgrund von Geldmangel und kriegsbedingten Preissteigerungen konnten die Missionare zum Beispiel kein Chinin gegen Malaria mehr kaufen. „Auch die Einheimischen bekamen die Not zu spüren und infolgedessen die Mission wieder den Rückschlag", schrieb Anton Freitag. Zu der materiellen Not kam der Personalmangel. Mit Kriegsausbruch versiegte der Nachschub an neuen Personalkräften aus Europa und Amerika. Die letzten Missionare waren 1937 in Indien eingetroffen. Zehn Jahre später waren sie immer noch die jüngsten Mitglieder im Steyler Missionsstab. Auf der anderen Seite verlor der Stab fünf Missionare, die entweder aus Altersgründen aus der Missionstätigkeit ausschieden oder an Malaria und Schwarzfieber starben.
Am stärksten aber wurde die Missionsarbeit durch Internierungen seitens der britisch-indischen Regierung beschränkt. Gleich zu Beginn des Krieges wurden alle Deutschen in Indien - darunter auch die deutschen Missionare - interniert. In Indore war fast der gesamte Missionsstab betroffen, 35 Patres und Brüder. Nur zwei Brüder und acht Patres blieben verschont, da sie keine Deutschen waren. Bereits im November ließen die Behörden die inhaftierten Missionare allerdings wieder frei und gestatteten ihnen, ihre Missionsarbeit wieder aufzunehmen. Verschiedene Personen hatten sich um diese Freilassungen bemüht - neben Monsignore Roberts, dem Erzbischof von Bombay, und dem Präfekten Janser, der damals gerade in London weilte, auch die Katholiken von Indore mit einer Eingabe an die Regierung. Die Behörden wiederum bestätigten den deutschen Missionaren, dass sie ihr Amt vorbildlich und ohne jede politische Betätigung ausgeübt hätten.
Ab Juli 1940 gab es allerdings neue Einschränkungen für die Missionare in Zentralindien. Sie durften nicht mehr auf den Außenstationen bleiben, sondern wurden in den großen Zentren in Jhabua, Mhow und Indore-Stadt konzentriert. Dort war ihre Tätigkeit auf eine Fünfmeilenzone beschränkt. Überdies mussten sie sich wöchentlich bei der Polizei melden. Dagegen durften die Missionare in den Central Provinces bis Kriegsende auf ihren jeweiligen Stationen bleiben. Doch auch sie waren in ihrer Freiheit auf eine Fünfmeilenzone beschränkt. Die Missionare von Zentralindien, im ganzen 16 Patres und 6 Brüder, wurden am 20. Oktober 1940 abermals interniert. Unter ihnen befand sich auch Hermann Westermann. Seine Mitbrüder und er wurden zuerst nach Ahmednagar und von dort am 23. Februar 1941 nach Deolali gebracht. Im Oktober 1941 kamen die Missionare schließlich nach Dehra Dun am Fuße des Himalaja. Wieder bemühte sich Monsignore Janser um die Freilassung der Missionare, bis hinauf in die höchsten Stellen. Bereits im August 1941 wurden daraufhin acht Patres und fünf Brüder aus der Haft entlassen. Hermann Westermann muss gegen Ende November wieder freigekommen sein, denn er war 13 Monate lang inhaftiert. „Es war ein einzigartiges Privileg der Steyler Missionare, daß alle noch während des Krieges wieder frei kamen, während die übrigen deutschen Missionare Indiens das harte Los hinter dem Stacheldraht bis zur Befreiung aus dem Kamp im Jahre 1946 verkosten mußten", schrieb Freitag. Er nannte ein Beispiel für die Anklagen, die manchen Missionaren zur Last gelegt wurden. So habe Pater Gellenberg im „Vaterunser" gebetet „Zu uns komme dein Reich." Dies war von den Behörden auf das Reich Adolf Hitlers bezogen worden.
Freitag berichtete weiter: „Das Leben im Internierungslager war nervenzermürbend. Nicht einmal eine wirkliche Kapelle stand [den Missionaren] zur Verfügung. Abwechslung boten allerlei Studien und von Dehra Dun aus die wöchentlichen Touren in den Himalaja." Die Missionare ließen sich in den Internierungslagern nicht zur Untätigkeit verurteilen. Sie hatten ihre indischen Studienbücher mitgenommen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. „In vielen durch den Krieg aufgedrungenen Mußestunden machten die Missionare Versuche, die wichtigsten christlichen Grundbegriffe und festen Lehrausdrücke durch gute Hindiworte wiederzugeben", so Freitag. Nach dem Krieg richteten die Steyler Missionare mit Hilfe amerikanischer Maschinen in der Stadt Indore eine Missionsdruckerei ein. In den folgenden Jahren gaben mehrere Missionare für die bekehrten Inder kleinere religiöse Schriften auf Hindi heraus. Westermann nahm dabei eine herausragende Stellung ein. „Er war lange Zeit führend in der Herausgabe von religiöser Literatur in Hindi, und zwar einem guten Hindi, wie allgemein zugegeben wurde. Daher wurde Bischof Westermann auch der Titel Guru zuerkannt", schreibt Günther Mees in seinem Buch „Menschen mit Profil". In vielen Berichten über den deutschen Missionar wird seine Sprachbegabung hervorgehoben. Westermann konnte selbst die alten religiösen Bücher der Hindus im Urtext lesen und sich so in ihre religiöse Gedankenwelt einfühlen. „Es gibt auch heute noch nicht viele Missionare, die so viele Hindibücher lesen können wie Bischof Westermann", heißt es in einem Bericht Pater Clemens SVD zum Silbernen Priesterjubiläum Westermanns. Westermann gab mehrere Bücher für den kirchlichen Gebrauch in Hindi heraus, darunter ein Rituale, ein Religionsbuch in zwei Bänden für höhere Mittelschulen, ein Leben-Jesu-Buch, eine Biographie der heiligen Maria Goretti, eine Erklärung der sieben Sakramente und ein Sonntagsmissale. Außerdem besorgte er im Auftrag der Indischen Bischofskonferenz die Übersetzung des Rituale in die Hindi-Sprache. Durch diese Werke wurde Westermann in Indien auch außerhalb seines eigenen Gebietes bekannt. Seine zahlreichen Übersetzungen wurden schließlich als offiziell für den gesamten Hindi-Sprachraum anerkannt.
Obwohl die Steyler Missionare noch während des 2. Weltkriegs freikamen, waren sie in ihren Tätigkeiten bis Kriegsende stark eingeschränkt. Sie durften sich nur in den Hauptzentren Indore, Mhow und Jahbua aufhalten. Ihnen war verboten, Schulen zu leiten und Unterricht zu erteilen. Jeden Monat konnten sie nur zehn Tage ihre ursprünglichen Missionsstationen zur seelsorgerischen Betreuung besuchen. Dazu kam die Ungewissheit über das Schicksal der Mission nach dem Krieg.
Hermann Westermann gelang es, 1943 in Dhani eine neue Missionsstation zu eröffnen. 1975 schilderte er in einem Zeitungsartikel („Menschen in Münster" vom 3. Dez. 1975) dazu folgende Anekdote: Als er eines Tages mit seinem Motorrad aus dem Nimartal nach Khurda zurückfuhr, hielten ihn zwei Straßenarbeiter an. Sie fragten: „Warum fahren Sie immer in die Dörfer, kommen Sie doch zu uns!" So errichtete Westermann in Dhani seine Station, die bald stetig wuchs.
Er hatte die Erlaubnis bekommen, dort auf einem Stück Land eine Kapelle, ein Wohnhaus und ein Krankenhaus mit Nebengebäuden für Personal zu erhalten. Das Geld hierzu erhielt Westermann durch Spenden aus Amerika, Irland und Indien. Unter anderem hatte ein Bauherr aus Kalkutta 6.000 Rupien für den Kapellen- und Wohnbau gestiftet. Außerdem fertigte der Bauherr Pläne für die Kapelle im indischen Stil an. Pater Büttgens malte das Gotteshaus in Anlehnung an die indische Kunst aus. Bruder Kunibert wirkte in der Missionsstation als geschickter Krankenpfleger, dem sich nach und nach viele Menschen aus der Gegend anvertrauten. 1947 entstand dann das Krankenhaus in Dhani.